Kagyu Samye Dzong Kirchheim e.V.

Das fünfte Paramita: Die Meditation, die meditative Stabilität

von Karmapa Ogyen Trinley Dorje

Grundlegend unterscheiden wir zwei Arten der Meditation:

  1. Shamata (Skr) oder Shine (Tib) Meditation, das ruhige Verweilen und
  2. Lhaktong (Tib) oder Vipassana (Skr), die Einsichts-Meditation oder analytische Meditation (gewisse Einsichts-Meditationen sind auch Meditationen des ruhigen Verweilens, speziell im Vajrayana)

Shamatha oder Shine ist eine buddhistische Meditationstechnik. Sie kann mit „ruhiges oder friedvolles Verweilen“ übersetzt werden. Es handelt sich um eine Meditationstechnik, welche u. a. der historische Buddha gelehrt hat. Shamatha zielt auf die Entwicklung von Konzentration und damit auf die Stabilität des Geistes ab.

In unserer modernen Welt mit ihrer Schnelllebigkeit und der Vielzahl an Ablenkungen kommt unser Geist nicht mehr zur Ruhe. Permanent schwanken wir zwischen Aufregung und Müdigkeit. Die Praxis des Shine (Shamatha) hilft, die natürliche Klarheit und Stille unseres Geistes wiederzuentdecken. Ein so stabilisierter Geist ermöglicht es, die in der analytischen Lhaktong-Meditation (Vipassana) gewonnene Einsicht zu vertiefen, damit sie unseren Alltag ganz durchdringen kann.

Shine und Einsichts-Meditation sind wie Ursache und Ergebnis. Shine sollte der Einsichts-Meditation vorangehen. Ohne starke, stabile Shine-Praxis wird die Einsichts-Mediation schwach sein.

Shine und den Geist eins-gerichtet auf einem einzigen Fokus ruhen zu lassen, helfen dem Geist, locker und stabil zu werden. Man wendet die Fähigkeit des Geistes an, einen einzigen Fokus auszuhalten.

Normalerweise praktiziert man in Abgeschiedenheit (nicht einmal Hundegebell) ohne Ablenkung für fünf bis sechs Monate. Heutzutage ist dies sehr schwierig, weil der Geist so abgelenkt ist und es ist äußerst schwierig, so einen ruhigen Ort zu finden.

Einige Punkte aus einer Belehrung von Drupon Rinpoche über „Methoden zur Zähmung des wilden Geistes“.

Ein zentraler Punkt bzw. der ganze Sinn und Zweck unserer Dharmapraxis ist genau dies: den wilden, ungezügelten Geist zu zähmen, und uns und anderen nicht zu schaden, sondern uns hilfreich und heilsam zu verhalten. Betrachten wir uns genau, werden wir zum Schluss kommen, dass alle unsere Probleme und Schwierigkeiten aufgrund dieses wilden Geistes, bei dem sich alles immer nur um uns selbst dreht, entstehen. Hätten wir mehr Kontrolle darüber, wäre vieles in unserem Leben anders, oder?

Shine-Meditation ist, Veränderung im Geist zu bewirken, und nicht, einen leeren, gedankenlosen Geist zu fabrizieren. Dazu gehört, immer wieder zu prüfen, ob wir erwarten, dass uns Meditation zufriedener macht. Das ist der größte Fehler, das größte Hindernis überhaupt: die Erwartung und Hoffnung, Glück und Wohlbefinden zu erleben und alle unsere Schwierigkeiten verschwinden zu sehen, während wir sitzen und meditieren.

Bei der Meditations-Praxis geht es darum: unseren Geist kennen lernen, erkennen, was ihn bestimmt, antreibt, hindert, beeinflusst. Das fängt damit an, unsere negativen Emotionen, Fehler, unguten Gewohnheiten zu erkennen. Herauszufinden, was genau sind Anhaftung, Gier, Ablehnung, Wut, Eifersucht, Stolz, wann entstehen sie, was verstärkt sie, wann werden sie weniger etc.

Wir erkennen, was unseren Geist wild macht, was uns ständig in Unruhe, Scham, Gereiztheit, Aufregung, kurz Schwierigkeiten, Leid und Unglück stürzt.

Wir sehen, welchen Effekt die schwierigen Gedanken haben, finden heraus, wie sie entstehen, beobachten die verschiedenen Geisteszustände und Gewohnheiten. Dann lernen wir, uns von ihnen zu distanzieren, sie allmählich zu verändern und heilsameres Verhalten zu entwickeln. Die Abfolge buddhistischer Praxis ist, Anhaftung und Abneigung/Aversion aufgeben lernen und positive Qualitäten, Meditation entwickeln. Das hört sich einfach an, aber ist sicher für uns alle eine große und überwältigende Herausforderung. Nichtsdestotrotz, das Beste was wir für unser eigenes Wohl und das der anderen im Leben tun können.

Das ist die Dharma-Praxis: keine hochtrabenden Praktiken, kein leeres in Frieden Verweilen, sondern genau erforschen, wo und wie unsere negativen Emotionen sich ausdrücken und dann daran arbeiten, sie zu verändern und umzuwandeln.

Normalerweise denken wir, wenn wir etwas mögen, uns etwas gefällt, dass es gut für uns ist. Doch dies ist nicht unbedingt der Fall. Langfristiger gedacht, kann sich das, was im Moment so erstrebenswert erscheint, was wir gerade so gerne tun oder genießen, als sehr negativ und unangenehm herausstellen. Darum ist es wichtig, vor jeder Aktivität zu untersuchen, ob sie hilfreich und heilsam ist oder nicht.

Wenn wir uns dann auf eine Sache einlassen, ist es wichtig, sie bis zum Ende durchzuführen, Dinge nicht vorzeitig wegen Problemen oder aus einer Laune heraus hinzuwerfen. Nicht zu Ende gebrachte Projekte wirken sich noch lange später negativ auf uns aus, und hinterlassen ungute Spuren und Tendenzen.

  • Teaching angelegt von Stephan
  • letzte Bearbeitung am: 21. Juli 2024